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Seit Kindesbeinen an begleiten Bücher mich durchs Leben, inspirieren und prägen mich, so zum Beispiel der Roman "Gerron" von Charles Lewinsky.

 Kurt Gerron, der jüdische Schauspieler und Regisseur, wird dazu gezwungen, einen beschönigenden - und daher verlogenen - Film über das Leben der in Theresienstadt eingesperrten Juden zu drehen. Der Protagonist ist in dieser Rolle hin und her gerissen zwischen seiner Lebensgier und seinen moralischen Verpflichtungen.

Es beeindruckt mich, wie sich der Autor, Charles Lewinsky, in die Welt des Knaben Kurt Gerron hineinversetzen kann und Begebenheiten schildert, die wir alle (als wir Kinder waren) so oder ähnlich erlebt, die Erinnerung daran aber allmählich, mit dem Voranschreiten unseres Lebens, verloren haben.


Ein Ausflug, der wie ein Abenteuer beginnt und mit einer erniedrigenden Erfahrung endet



Da wäre die stille Bewunderung des Knaben für seine anmutige, immer etwas kränkliche "Mama": sie kann "eine Orange mit Messer und Gabel schälen", weiss aber nicht, "wie man jemanden umarmt". Und die respektvolle, zurückhaltende Verehrung für den liebenswürdig-schrulligen "Papa", welchen der Knabe für allwissend und unfehlbar hält, bis er eines Besseren belehrt wird.

Weiter tritt der Zigarren paffende und Geschichten erzählende Grossvater auf. Eine dieser Geschichten geht so: du realisierst, was es heisst in der Hölle zu sein, wenn du den Unterschied zwischen dem Menschen, den du hättest werden können und demjenigen, den du tatsächlich geworden bist, erkennst.

Oder die erste Eisenbahnfahrt raus aus Berlin in die Provinz: in den väterlichen Heimatort mit dem scheusslichen Namen "Kriescht". Ein Ausflug, der wie ein Abenteuer beginnt - der Knabe nimmt seine Botanisierbüchse mit - und mit einer bitteren Enttäuschung und erniedrigenden Erfahrung endet.

Charles Lewinsky schreibt mit feiner, liebenswürdiger, zuweilen aber auch harter, verstörender Ironie.

Wieder einmal ein Buch, welches die langen, dunklen Winterabende verkürzt und bereichert.

 

24. November 2018

Moni Grieder